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ZUKUNFT BESTAND – Stadtspaziergang in Düsseldorf

16. Oktober 2023

ARCHITEKTURWOCHEN NRW 2023
Update Nachhaltigkeit 2.0

Was hat die City der Landeshauptstadt zu bieten im Hinblick auf sinnvoll weiterentwickelten Bestand, wieder verwendete Materialien und andere Ansätze in Sachen Nachhaltigkeit? Eine ganze Menge, wie uns Stadtführerin Christa Konzok zeigt, und nach vier Stunden Stadtspaziergang wissen wir nicht nur, dass Nachhaltigkeit ihren Preis hat, wir spüren ihn auch: an den schmerzenden Füßen.

KAP1: Postmoderne mit neuen inneren Werten
Am Startpunkt unserer Tour – am Konrad-Adenauer-Platz 1 (!) – gibt es auf den ersten Blick wenig Grund zur Freude. Schräg gegenüber dem Hauptbahnhof lag hier von alters her das Hauptpostamt der Stadt, in seiner jetzigen Fassung vom Düsseldorfer Büro Vogt & Partner 1991 fertiggestellt. An der soliden, aber einfallslosen Natursteinfassade mit postmodernem Nachhall haben sich RKW beim Umbau, mit dem sie 2018 beauftragt wurden, gar nicht erst abgearbeitet.
Die neue Erschließung der öffentlichen Bereiche geschieht durch ein gebäudehoch offenes, gläsernes Foyer. Die Post hatte sich für ihre logistischen Abläufe komplexe Gebäudestrukturen mit teilweise bis zu sieben Meter hohen Geschossen bauen lassen. Nun vermietet der Eigentümer, das Versorgungswerk der Zahnärztekammer Nordrhein, das KAP1 größtenteils an die Stadt.
Hier finden u.a. die Zentralbibliothek, das Forum Freies Theater und das Theatermuseum angemessene, großzügige Räumlichkeiten. Für die Bibliothek entwarfen Schrammel Architekten aus Augsburg ein lichte, überschaubare Leselandschaft mit Dachterrasse. Hendrik Faber von RKW schließt seine Erläuterungen mit einer eindrucksvollen Rechnung ab: „Allein durch den Erhalt des Rohbaus wurde so viel CO2 einspart, wie bei etwa 1250 Umrundungen des Äquators mit dem PKW anfallen würden.“

The CROWN | RKW Architektur + | © Barbara Schlei

Who wears the crown?
Nicht nur Dienstleister wie die Post verschwinden aus den Stadtzentren; eine andere aussterbende Spezies sind die Kaufhäuser. In der Berliner Allee entstand unter Mitwirkung des RKW-Gründers Helmut Rhode in den 50er Jahren ein Horten Kaufhaus mit der gleichnamigen Kachel als Fassadengestaltung. Später von Kaufhof genutzt, wurde es 2018 nach aufwendigem Umbau durch RKW als „The Crown“ wieder eröffnet.
Der Stahlbetonbau mit 80 mal 120 Metern Kantenlänge wurde bis auf die Tragstruktur zurückgebaut. Darauf setzt ein zweigeschossiger Hotel-Neubau auf. Ein Feinkost-Supermarkt nutzt nun das Basement und das Erdgeschoß; darüber liegen drei Parketagen hinter einer horizontal zweigeteilten Fassade, in die spitze Dreiecke als Lüftungsöffnungen in die Metallbleche eingeschnitten sind.
Der Pluspunkt für RKW: Sie haben den Komplettabriss vermieden, zu einem Zeitpunkt, als das Wort Umbaukultur noch nicht in aller Munde war wie heute. Leistet aber die immer noch den gesamten Straßenblock einnehmende Großstruktur, die ihre „belles etages“ zum Parken anbietet, als Stadtbaustein heute mehr als zu Zeiten von Helmut Horten? „Das Gebäude wurde exklusiv auf den Mieter hin gebaut,“ sagt Hendrik Faber, „aber mit den vorgehängten Fassaden lässt es sich relativ leicht für andere Zwecke umwandeln.“

BA 26 | F&G Geddert / plus4930 Architektur © Barbara Schlei

BA 26: Respekt vor dem Bestand
Auch das nächste Projekt, ein Geschäftshaus in der Berliner Allee 26 (!), geht zurück auf die 1950er Jahre. Der Umbau des in den 1990er Jahren modernisierten Gebäudes durch Jürgen und Florian Geddert beschränkt sich aber nicht nur auf den Erhalt von Gebäudemasse, sondern sie transformieren die Architektur der Wirtschaftswunderzeit auch ästhetisch ins Heute.
Unter Beibehaltung der Tragkonstruktion und des zweigeschossigen Sockels wurde das gesamte Gebäude energetisch ertüchtigt. Das Raster der Obergeschosse blieb erhalten, wurde aber neu interpretiert: Aluminiumlisenen gliedern die Fassade; hinter bedruckten Prallscheiben, die etwa je ein Drittel der Rasterflächen einnehmen, liegen Öffnungsflügel. Für die Innenarchitektur zeichnete das Büro Friedhelm Kuche 360 verantwortlich, der das Foyer „als leuchtende Laterne“ mit einem großzügigen, zweigeschossigen Luftraum im vorderen Bereich ausgestaltete.
In der Gestik, mit der Jürgen Geddert die Natursteinprofile des Eingangs zum Foyer beschreibt, spricht Respekt und Sympathie für den Bestand, und auch seine letzte Bemerkung bezeugt, dass ihm dessen Erhalt ein Anliegen ist: „Ich habe mich sehr gefreut, dass der Abbruchunternehmer alle Natursteinplatten der Fassade weiterverkaufen konnte.“

Bauteilkatalog zum zirkulären Bauen
Um das Weiterverkaufen und -benutzen geht es auch bei der nächsten Station, dem Behrensbau am Rheinufer, errichtet bis 1912 von Peter Behrens für die Mannesmannröhren-Werke AG. Ulrike Szpurka vom Bau- und Liegenschaftsbetrieb (BLB) NRW empfängt uns hier. Nach einer wechselhaften Geschichte wurde der Bau 1982 unter Denkmalschutz gestellt und seit 2020 als Haus der Geschichte NRW genutzt. Geplant ist nun eine komplette Revitalisierung, für die der BLB NRW als Bauherr fungiert. Die Angebotsphase im Wettbewerb ist abgeschlossen, und damit steht der Kreis der Bietenden fest, die als Totalübernehmer für das Projekt im Rennen sind.
Concular – „Deutschlands größter Shop für zirkuläre Baumaterialien“ – hat in Zusammenarbeit mit der Behörde einen Bauteilkatalog erstellt, mit dem Materialien aus späteren Umbauten des Behrens- und auch des benachbarten „Väthbaus“ von 1938 wiederverwendet werden können. Es handelt sich vor allem um Systemtrennwände und Glastüren der Lindner Group, die diese Produkte rezertifiziert. Hier hätten wir nun aus dem Kreis der Teilnehmenden viele Erfahrungen zusammentragen können, wie in Deutschland starre Regularien kreislauffähiges Bauen erschweren, doch wir brechen auf zum letzten Stopp unserer Tour.

Commerzbank Hochhaus Hotelgruppe Ruby | HPP Architekten | © Barbara Schlei

Futurismus mit Patina
Sie endet glamourös. Paul Schneider-Esleben baute Anfang der 60er Jahre gegenüber dem Stammsitz der Commerzbank eine Erweiterung: ein Hochhaus mit einer neuartigen Aluminium-Elementfassade, 1998 unter Denkmalschutz gestellt. Abgerundete Fensterprofile und eloxiertes Metall hauchten das Gebäude futuristisch an. Hier gab es den ersten Drive-In-Bankschalter Deutschlands in einer Glasbox, umgeben von einem freien Verkehrsbereich, über den das monumentale Sichtbeton-Tragwerk für den Turm zu schweben schien.
Die Originalpaneele stammten von der Firma Gartner, die nun auch für ihre Ertüchtigung und Remontage zuständig war. Die äußere Schicht blieb erhalten und auch der alte Fensterbeschlag. Gegenüber einer komplett neu aufgebauten Fassade spürt man anhand der originalen Bestandteile die Authentizität im Umgang mit dem Gebäude, erläutert Volker Weuthen, Senior Partner bei HPP.
Für die heutige Hotelnutzung haben HPP das Erdgeschoß mit einer Structural Glazing Fassade verkleidet, in einer Flucht mit den Außenkanten der darüber liegenden Geschosse. Die Inneneinrichtung ist im Corporate Design der Ruby Hotelkette gehalten. Es hat sich gelohnt, nach langem Lehrstand den Wandel zu wagen: Der Geist von einst, der modern-dynamische Touch, ist wieder spürbar.

Nicht nur die vier Einzelprojekte haben wir uns an diesem Nachmittag erlaufen. Unser guide Christa Konzok nutzte die Wegstrecken von Ort zu Ort, um die Düsseldorfer Gesamttextur zum Klimawandel darzustellen. Sehr kundig und konzis zeichnet sie ein Panorama vom Flechtenmonitoring über Zukunftsbäume und Straßenpflaster zum Entenmanagement und anderen Maßnahmen, mit denen Düsseldorf dem Klimawandel begegnet. „Toulouse ist nicht nur unsere Partnerstadt, sondern auch unser Klimazwilling, das heißt, zum Ende des Jahrhunderts werden wir hier Temperaturen haben, die denen in Toulouse heute entsprechen,“ sagt Konzok. Die gute Nachricht ist: Je mehr die Stadt sich auf diesen Prozess vorbereitet, desto mehr lässt er sich aufhalten. Jeder Schritt zählt, auch wenn die Füße schmerzen.

Ira Scheibe