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Nachbericht: Via Culturalis oder Via Ballermann – Hochkultur und Großevents: Wohin will die Stadt?

5. Mai 2023

Elke Beccard
Elke Beccard

v.l.: Manfred Richter, stellvertr. Franktionsvorsitzender Bündnis 90 / DIE GRÜNEN; Trixi Nett, Tanzstudio NETT & FRIENDS; Dr. Joachim A. Groth, Vorsitzender Vorstand Bürgergemeinschaft Altstadt e.V.; Dr. Gerrit Krupp, SPD-Fraktion; Govert Janssen Vorsitzender der „Vereniging Vrienden van de Amsterdamse Binnenstad; Peter Füssenich, Kölner Dombaumeister; Stefan Charles, Kulturdezernent der Stadt Köln; Kaspar Kraemer, Architekt BDA Köln; Erich Pössl Architekt und Vorstand BDA Köln / Foto: Elke Beccard

Die Sorgen, die Köln hat, hat Amsterdam allemal. Govert Janssen ist Vorsitzender der „Vereniging Vrienden van de Amsterdamse Binnenstad“ mit 3000 Mitgliedern. Er beschreibt die Lage: Innenstadt-Gassen zum Beispiel, die so überfüllt sind, dass man weder hinein- noch herauskommt. Die Gegenmaßnahmen der Stadt bestehen u.a. darin, Flusskreuzfahrten zu reduzieren, Junggesellenabschiede und auch manche geführten Touren weiter zu reglementieren, Alkohol in einigen Bereichen zu verbieten und höhere Steuern zu erheben. Janssens Vereinigung hat weitergehende Forderungen, so sollen zum Beispiel bestimmte Touristenattraktionen aus der Innenstadt in Außenbezirke verlegt werden. Vor allem aber gelte es, die bestehenden Gesetze und Regeln besser durchzusetzen.

Abb. Govert Janssen, Amsterdam
Abb. Govert Janssen, Amsterdam
Abb. Govert Janssen, Amsterdam

Wenn Amsterdams City in den Augen von Govert Janssen eine einzige via culturalis ist, so arbeitet Köln noch daran, seine eigene endlich als solche zu präsentieren. Den Traum von einer Kulturzone zwischen Dom und St. Maria im Kapitol träumte und formulierte Oswald Mathias Ungers kurz nach der Jahrtausendwende. Kaspar Kraemer malt die „Vision Via Culturalis,“ so der Titel seiner Präsentation, für das Publikum noch einmal aus. Wie Perlen an einer Schnur sollen historische Stätten und Institutionen die über zweitausend Jahre alte Geschichte der Stadt aufzeigen. Eingebettet sein sollen sie in einem würdig gestalteten städtischen Umfeld, das bisher mehr den Charakter einer Rückseite und Lieferzone hatte. Die Wandlung ist im Gange, langsam allerdings, sehr langsam.

Abb. Via Culturalis / HH-Vision
Abb. Via Culturalis / HH-Vision
Abb. Via Culturalis / HH-Vision

Kaspar Kraemer beschwört das bürgerliche Bewusstsein, das so viel für diese Stadt erreicht hat: Wie ließe es sich aktivieren? Indem man zeigt, was Köln hat, was es ist und vor allem, was es werden könnte, so Kraemer. In Zusammenarbeit mit dem Verleger Michael Wieland ist ein Buch entstanden, „Kölngold“, das die Schätze der Stadt präsentiert und dabei auch in die Zukunft schaut: Visualisierungen stellen die wichtigsten Stationen der via culturalis dar, so wie sie einst das Stadtbild bereichern könnten, „wenn man sich von allen Zwängen frei macht,“ wie Kraemer formuliert. Befreien müsse man sich vor allem auch von dem absurden Schilderwahn der Stadt, der dieses Bild zerstöre. In einer eindrucksvollen Vorher-Nachher Sequenz stellt Kraemer den Ist-Zustand einiger Stätten der via culturalis den Renderings gegenüber und gibt ein Bild davon, wie Kölns Baukunst wirken könnte, so dass wir „glücklich sind mit unserer Stadt und stolz darauf.“

Nicht nur im Saal, auch auf dem Podium bei der anschließenden Diskussion geht es etwas beengt zu. Eingeladen ist zum Beispiel Stefan Charles, Kulturdezernent der Stadt Köln. Er hat Visionen, Optimismus, Tatendrang und gute Konzepte. Und wenn er verspricht, Köln werde einst mindestens so interessant wie Berlin und Barcelona, wenn man es richtig anstellt, möchte man ihm gerne glauben. Auch der Kölner Dombaumeister Peter Füssenich setzt auf Hochkultur als Garant für die richtige Mischung: „Die Investition in die Häuser, die von unserer Geschichte erzählen, ist von ganz besonderer Wichtigkeit.“

Handbuch Via Culturalis
Handbuch Via Culturalis
Abb. aus: Via Culturalis Cologne | Stadt Kultur Geschichte | Der Lupenraum Via Culturalis – Ein Handbuch für den öffentlichen Raum

Doch die Misere ist so groß, dass es nicht reicht, zu warten und zu hoffen, dass sich mit verbessertem Stadtbild auch die Lage bessert. Trixi Nett vom Tanzstudio NETT & FRIENDS mit einer Dependance in der Altstadt schildert ihre Erfahrungen mit dem Standort und fasst zusammen: „Ich bin noch nicht sicher, ob wir als Anbieter von Kultur in der Innenstadt willkommen sind.“ Seit 30 Jahren wohnhaft in der Altstadt und vorsitzender Vorstand der Bürgergemeinschaft Altstadt e.V. ist Dr. Joachim A. Groth. Sein zentrales Anliegen ist die Reduktion der Besuchermassen: „Großveranstaltungen wie das geplante Fan-Dorf bei der EM 24 auf dem Heumarkt schreddern die Sozialstrukturen der Stadt. Die Eventindustrie schneidet sich immer größere Stücke aus der Innenstadt heraus. Es gibt keine Mischstrukturen mehr, sondern Monostrukturen, die die von außen kommenden Massen versorgen.“

Diese Massen aber kämen sowieso, egal, ob man das gut oder schlecht finde, sagt Manfred Richter, stellvertretender Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen. Daher sei es der richtige Weg, nicht etwa dem Karneval abzuschwören oder die EM nicht stattfinden zu lassen, sondern von städtischer Seite her den Rahmen für diese Events zu schaffen. Von der politischen Opposition kommt in diesem Fall Zustimmung: Dr. Gerrit Krupp von der SPD-Fraktion hält es ebenfalls für einen klugen Zug der Verwaltung, dort Vorsorge zu treffen, wo die Menschenmengen erwartet werden, nämlich in der Altstadt. Das „SPD-Mantra“ vom unterbesetzten Ordnungsdienst passt zum allgemeinen Tenor auf dem Podium, es gebe genügend Regelwerke und hapere massiv an der Umsetzung der Inhalte. Eingeladen auf das Podium war auch der Geschäftsführer ColognePride e.V Uwe Weiler, der aber krankheitsbedingt nicht teilnehmen konnte.

Abb. Historische Mitte Köln / Architekt Volker Staab, Berlin / Visualisierung HH-Vision
Abb. Historische Mitte Köln / Architekt Volker Staab, Berlin / Visualisierung HH-Vision
Abb. Historische Mitte Köln / Architekt Volker Staab, Berlin / Visualisierung HH-Vision

Bei der abschließenden Publikumsrunde sind viele Klagen darüber zu hören, dass sich die jenseits aller geltenden Benimmregeln liegende Eventzone immer mehr ausbreite. Verbunden sind sie mit kritischen Stimmen zur City Vermarktung durch KölnTourismus, die – einem (eigenen?) finanziellen Verwertungsinteresse nachgebend – das Sauf- und Feier-Image der Stadt weiter fördern würde, zu Lasten der Bürger.

„Wir wollen Köln nicht aseptisch machen und halten es auch aus, dass wir quirlig und bunt sind, aber gewisse Exzesse, die diese Haltung ins Gegenteil kehren und entwerten, müssen wir bekämpfen,“ fasst Erich Frank Pössl die Positionen des Abends in einem Schlusssatz zusammen.

Autorin: Ira Scheibe

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Und hier noch unser Link zum Nachhören dieses Montaggesprächs:
https://youtu.be/0YYHbXFNquY
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Und noch ein Bericht aus dem Kölner Stadtanzeiger v. 26. April 2023:

Foto: Welser / Kölner Stadtanzeiger
Foto: Welser / Kölner Stadtanzeiger