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Nachbericht: Einfach weitermachen? – Wie öffentliche Räume erneuert werden können

23. Mai 2023

Foto: Elke Beccard
Foto: Elke Beccard

v.l.: Lukas Lorenz, SPD, Mitglied im Verkehrsausschuss; Manfred Richter, stellvertr. Franktionsvorsitzender Bündnis 90 / DIE GRÜNEN; Dieter Schöffmann, Bereichsleiter „Politische Partizipation“, Leiter Büro Öffentlichkeitsbeteiligung der Kölner Freiwilligen Agentur e.V.; Manuel Jeschka, Volt, Mitglied im Digitalisierungsausschuss; Güldane Tokyürek, Die Linke, Mitglied Verkehrsausschuss und Finanzausschuss; Niklas Kienitz, CDU, Mitglied im Stadtentwicklungsausschuss u. Finanzausschuss; Stefanie Ruffen, FDP, Mitglied im Bauausschuss und Betriebsausschuss Gebäudewirtschaft; Dr. Weert Canzler, Leiter Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Straßen befreien, sich den öffentlichen Raum wieder aneignen – darum ging es den Initiativen, die sich beim BDA-Montagsgespräch „Einfach machen“ im Oktober 2022 vorgestellt haben, etwa „Deutz autofrei“ oder „Von Grau zu Grün“ aus Poll. Wie können die Initiativen in den Wandel des öffentlichen Raums besser eingebunden werden? Um diese Frage zu diskutieren, haben Ingo Plato und Thomas Knüvener vom BDA Köln Vertreter des Kölner Rats sowie Dieter Schöffmann von der Kölner Freiwilligenagentur eingeladen.

Ein möglicher Werkzeugkasten für Initiativen ist das „Manifest der freien Straße“, verfasst von Mitarbeitern des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), der TU Berlin sowie der Initiative „Paper Planes“. „Wir wissen alle, dass die Verkehrswende kommen muss“, sagt der Mobilitätsforscher Weert Canzler vom WZB in seinem Impulsvortrag. „Aber es ist schwer, sich das vorzustellen.“ Das Manifest liefert Bilder und zeigt, was auf Straßen alles möglich wäre, wenn diese nicht mehr vom Auto dominiert sind.

Canzler nennt aber auch reale Vorbilder: In Utrecht sind Autos untergeordnete Verkehrsteilnehmer, Straßen wurden in Grachten zurückverwandelt. Das Seine-Ufer in Paris wurde von Autos befreit und in Barcelona mit den „Superblocks“ nahezu autofreie Quartiere geschaffen. Für die Städte sei der Zuwachs an Aufenthaltsqualität zuallererst ein Standortvorteil, doch freie Straßen seien auch wichtig für die Anpassung an den Klimawandel. Um gegen Hitze und Starkregen gewappnet zu sein, müssten Straßen in Zukunft entsiegelt werden.

Expertenrat Klimafragen, German Zero, ZEIT ONLINE
Expertenrat Klimafragen, German Zero, ZEIT ONLINE

Sei der Autoverkehr einmal unter eine kritische Schwelle zurückgedrängt, stelle sich ein sich selbst verstärkender Prozess ein: Das Radfahren wird sicherer, immer mehr Menschen fahren Rad. Doch um die Wende einzuleiten, brauche es politischen Willen. Schließlich ist auch die Dominanz des Autos kein Naturgesetz. Das private Auto einfach im öffentlichen Raum abzustellen, ist erst seit 1966 erlaubt. Heute, so Canzler, könne man nicht einfach sein Sofa auf die Straße stellen, sein Auto aber schon. Die Straßen aber sind dysfunktional geworden. Canzler: „Das Auto hat sich selbst besiegt.“

Auf dem Podium stimmt man zu, dass der Autoverkehr verringert werden müsse. „Aber in Köln fehlt ein Konzept für den verbleibenden Autoverkehr“, findet Stefanie Ruffen (FDP), Vorsitzende des Bauausschusses und Radfahrerin. Autos würden nur zurückgedrängt, aber nicht intelligent gelenkt. Gleichzeitig sei der ÖPNV-Ausbau vernachlässigt und wegen Personalmangels auch noch die Taktung verringert worden. Nicht alle könnten im Homeoffice arbeiten, nicht alle aufs Rad umsteigen. Ruffen sieht deshalb vor allem im Ausbau des ÖPNV den Schlüssel. Ein klares Konzept vermisst Ruffen auch bei den Verkehrsversuchen an der Deutzer Freiheit oder der Venloer Straße. „Das ist keine Verkehrswende, das ist totales Chaos“, sagt sie.

„Es geht nicht ohne Nutzungskonflikte“, sagt dagegen Güldane Tokyürek (Linke). Sie plädiert dafür, öffentlichen Raum aus Sicht von Kindern, Alten und Menschen mit Behinderung zu planen. Wenn eine Straße für sie gut sei, sei sie auch für alle anderen gut. Momentan fehle aber der politische Mut, die Veränderungen auch anzugehen, sagt Tokyürek.

Doch welche Rolle spielen nun die Initiativen dabei? „Wir hätten in Köln heute eine mehrspurige Stadtautobahn, wenn es in den 70er und 80er Jahren keinen Protest dagegen gegeben hätte“, sagt Dieter Schöffmann von der Kölner Freiwilligenagentur. „Um die Aufenthaltsqualität zu verbessern, muss man stets mitdenken, wie Aneignung entstehen kann. Es braucht eine Offenheit für Bürger, die dazu bereit sind und Ideen haben.“ Eine Verkehrswende sei aber „eine andere Hausnummer“ als die Neugestaltung von Plätzen. Schöffmann rät Initiativen dazu, den Ausschuss für Anregungen und Beschwerden stärker in Anspruch zu nehmen. Köln sei eine der wenigen Städte mit einem derartigen Ausschuss.

Manfred Richter (Grüne) verweist darauf, dass die Bürgerbeteiligung in Köln gestärkt worden ist. Köln bekomme sogar einen Bürgerrat, dessen Mitglieder zugelost werden, um nicht nur die Gutvernetzten und Diskursmächtigen zu beteiligen. Und er nennt die Leitlinien für Bürgerbeteiligung, die Köln sich gegeben habe – „auf Anregung der Stadtgesellschaft!“, wie Dieter Schöffmann von der Freiwilligenagentur klarstellt. Lukas Lorenz (SPD) betont, wie unterschiedlich lange die Umgestaltung von Veedelsplätzen dauere; in den Außenbezirken müssten die Menschen wesentlich länger darauf warten als in der Innenstadt. Das sei nicht dazu angetan, die Akzeptanz zu fördern.

Niklas Kienitz, Fraktionsgeschäftsführer der CDU und Sprecher des Stadtentwicklungsausschusses, möchte nicht nur über Straßen und die Reduktion des Autoverkehrs sprechen, sondern auch über die Qualität des öffentlichen Raums, über Materialfragen und Begrünung. Kienitz will das Konzept zum „Grundnetz für den motorisierten Individualverkehr“ abwarten, das die Verwaltung derzeit erstellt. Und er verweist darauf, dass man die Gebühren für das Anwohnerparken bereits angehoben habe. Manuel Jeschka (Volt) und Manfred Richter (Grüne) drängen aber zur Eile. Je länger man warte, desto drastischer müssten die Veränderungen ausfallen und desto heftiger die Kämpfe. Man müsse die Initiativen dann auch mal machen lassen und nicht allzu penibel kontrollieren, ob denn auch alle Verordnungen eingehalten werden, findet Jeschka.

Geduld und Verständnis sind im Publikum begrenzt. „Das Sich-Herauswinden muss ein Ende haben“, sagt Reinhold Goss von der Initiative Ringfrei. Von der Politik fordert er konkrete Vorschläge, wie sie den Wandel gestalten wolle. „In Köln stehen die Parkhäuser leer. Seit Jahren wollen wir, dass Anwohner sie zum Parken nutzen, aber die Verwaltung tut nichts“, sagt Gunda Wienke von der Bezirksvertretung Innenstadt. Seit zweieinhalb Jahren warte man auf eine Antwort von der Verwaltung, berichtet auch eine Frau aus Klettenberg. „Andere Städte unterstützen Initiativen finanziell, damit sie Parkplätze anders gestalten. Wir hangeln uns von Genehmigung zu Genehmigung.“

Zum Schluss beteuert man auf dem Podium, wie wichtig Bürgerinitiativen seien. „Viele Ihrer Anregungen fließen in unsere Anträge ein“, so Güldane Tokyürek. „Wir brauchen Bürger, die zeigen, wie es gehen kann“, sagt Stefanie Ruffen. „Wenn sie sich konstruktiv einbringen, stärken sie damit auch die Politik.“ Einigkeit herrscht auch darüber, dass Autoverkehr auch auf „befreiten Straßen“ weiter möglich sein muss – für diejenigen, die darauf angewiesen sind.

Canzler bescheinigt dem Kölner Podium, eine sachliche Diskussion zu führen. Er warnt die Politiker jedoch davor, Populismus vorwegzunehmen. Bei radikalen Maßnahmen gebe es immer Proteste. „Auch die Superblocks in Barcelona waren umstritten“, sagt Canzler. Heute gelten sie international als Vorbild.

Hier unser Link zum kompletten Nachhören dieses Montaggesprächs:
https://youtu.be/EZSJuGK9chY

www.strassen-befreien.de