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NACHBERICHT: ARCHITEKTURWOCHEN NRW 2022

13. Dezember 2022

ARCHITEKTURWOCHEN NRW 28.10 – 04.11. 2022

Umdenken, Umnutzen, Umbauen
Best Practices und Lösungsansätze in 14 Veranstaltungen

Auf dem Programmheft prangt die Zahl: 21,7. So viele Millionen Bestandsgebäude gibt es in Deutschland; das macht bei 84 Mio. Menschen je eins für etwa vier Personen. Das sollte reichen. Doch welches konkrete Handeln erfordert diese Einsicht? Das war die Leitfrage der BDA Architekturwochen NRW 2022, die von Ende Oktober bis Anfang November stattfanden.

BDA Gespräch THINK TWICE | © büroluigs

Zum Auftakt der Reihe, dem BDA-Gespräch im Düsseldorfer Stahlwerk, stellt Anne Fabritius vom baubüro in situ, u.a. das K.118 in Winterthur vor, eine Ikone zirkulären Bauens. Von verschiedenen Optionen wurde schließlich die umgesetzt, für die „Bauteiljäger:innen“ Material finden konnten: ein etwas zu großes Stahltragwerk der Aufstockung, das über dem dreigeschossigen Altbau auskragt, Granitplatten aus Zürich, rote Bleche aus Winterthur. Es ist nicht nur alles schon da, so resümiert Anne Fabritius, sondern: „Es ist alles schön da.“
Architekt Muck Petzet als Propagandist für eine neue Umbaukultur betont, dass meist der kleinstmögliche Eingriff die größte Nachhaltigkeit bedeutet. Dies schmälert aber keineswegs die Rolle der Architekt:innen, liegt es doch an ihnen, die Potenziale des Bestands zu erkennen und in neue Zusammenhänge zu bringen.

Stärken, was bleiben kann

Eine großflächige Anwendung des Kreislauf-Prinzips soll in der Zeche Heinrich Robert in Hamm an den denkmalgeschützten Gebäuden realisiert werden. An jeder Ecke stapeln sich Steine, Holz wird gehortet, Glas, Fenster und Metall gelagert. Bei einem Rundgang wird das Entwicklungskonzept von post welters + partner für das 53 Hektar große Gelände der 2010 geschlossenen Zeche vorgestellt.

Zeche Heinrich Robert in Hamm | © Simone Melenk

Bis auf die Tragwerksstruktur entkleidet wird das Siegburger Rathaus der 1960er Jahre von Peter Busmann und Hanspaul Schware. ppp architekten planen die Sanierung und Aufstockung, beraten von Peter Busmann und eng orientiert am ursprünglichen Erscheinungsbild. Für diese Variante votierten 70% der Teilnehmenden eines Bürgerentscheids 2018, nach einem langen Ringen um die Zukunft des Baus.

Erste Voraussetzung für eine neue Umbaukultur ist das Wissen um den Wert von Bestandsbauten. So wurde dem Bonner Stadthaus von 1969 eine Begehung gewidmet; welches Schicksal ihm blüht, ist noch ungewiss. Auf einem großen Block in der Nordstadt verteilt sich ein immenses Bauvolumen auf fünf Türme; der Entwurf stammt von Heinle, Wischer und Partner. Für den Erhalt des Stadthauses hat ein Team des BDA Bonn-Rhein-Sieg im Sommer drei Fallstudien entwickelt. Eine dringende Sanierung am Tragwerk wird jetzt im laufenden Betrieb ausgeführt und räumt dem Abriss-Kandidaten eine Gnadenfrist ein.

Die Chancen des Bestands auszuloten, darum ging es auch in Münster: Die JVA Münster. Das preußische Gefängnis steht mitten in der Stadt und wird demnächst leer stehen , wenn die JVA in einen Neubau umzieht. Vor Ort diskutierte der BDA Münster-Münsterland die Geschichte und die Chancen des Gebäudekomplexes, um damit eine Entwicklung in Gang zu bringen.

Der Erhalt von Großwohnsiedlung aus den 60er und 70er Jahren ist dagegen häufig schwer zu vermitteln. Viele sind bereits verschwunden. Dass es sich lohnt zeigt der City Wohnpark in Duisburg Hochfeld. Der Vorher-Nachher Effekt ist bestechend: Die maroden Fassaden mit tristen Balkonen aus Waschbeton wandeln sich zur grünen Wiese und leuchten in neun verschiedenen Grüntönen. Bibiana Grosser und Dirk Druschke sehen im Umbau der Wohnblöcke eine wichtige Planungsaufgabe.

Zeitspuren freilegen

Das Potenzial des Bestands liegt auch in immateriellen Werten. Um die geht es im Essener Beitrag. Bei seinem Vortrag „Kirchen sind nicht irgendwelche Gebäude“ plädiert der Bauhistoriker Alexander Kierdorf dafür, dass ihre Würde erhalten bleiben soll, auch wenn sie anderen Zwecken dienten. Ein Beispiel ist die Lukaskirche in Essen von 1961. Sie wurde von Böll Architekten zu Arztpraxen und Wohnungen umgebaut. Die farbig verglasten Kirchenfenster über dem Eingangsportal sind im heutigen Treppenhaus erhalten geblieben.

Die Gottschalks Mühle in Hilden wurde urkundlich zum ersten Mal 985 erwähnt und vor zehn Jahren saniert. Der Bauherr hing am „heiligen Holz“ der alten Mauern; ein Abriss kam für ihn nicht infrage. Im Onlinegespräch des BDA Bergisch-Land mit Jochen Siebel, Christiane Gerold-Tenbuhs und Margreta Endermann schildert Architekt Christof Gemeiner, wie Einmaligkeit entsteht: „Aus alten Kornschächten haben wir Wand- und Türverkleidungen hergestellt, aus den Kornsieben Geländer. Die Treppe des Silos, die schon recht ausgetreten war, haben wir um 180 Grad gedreht. Unser Ziel war es, Zeitspuren frei zu legen.“

Qualitäten sichtbar machen

„Es ist der Wille nach Veränderung im Umgang mit unserer gebauten Umwelt, das Aufweckenwollen, das Sichtbarmachen, das Hervorheben von architektonischer Qualität, die entweder schon verschwunden ist oder aber zu verschwinden droht, wenn wir nicht aufpassen,“ beschreibt Thomas Schmidt von ssp die Motivation, die ihn zusammen mit Inga Soll und Heiko Sasse von soll sasse architekten bewogen hat, die Ausstellung „Wandel & Aufbruch“ im Baukunstarchiv NRW zu kuratieren. Fotos aus dem Stadtarchiv Dortmund zu 20 Architekturen der 1950er Jahre sind aktuellen Aufnahmen der Gebäude gegenübergestellt.

Dortmunder Westfalenpark | © Simone Melenk

Darunter sind auch die Gastronomien im Dortmunder Westfalenpark, der als wichtiger Stadtbaustein bis zur Internationalen Gartenausstellung Metropole Ruhr 2027 seine neue, alte Qualität wiedererlangen soll. Das Drehrestaurant auf dem Florianturm von Will Schwarz und das Restaurant Buschmühle von Groth, Lehmann und Schlote sind allerdings „extrem schwierig zu sanieren“, wie die BDA-Architekten Richard Schmalöer und Marcus Patrias beim Rundgang mit Alexandra Apfelbaum durch den Park zugeben.

Um Schönheit, die sein könnte, ging es dem BDA Wuppertal mit der Installation „Platz machen am Kolk.“ Die Platzkanten bilden eine Kirche, ein Gebäude der neuen Sachlichkeit, das Rex Kino aus den 50er Jahren und ein Einkaufszentrum. Der Platz hat Potenzial, wäre er nicht zur reinen Verkehrsfläche degradiert. Drei Tage lang wurde er vom motorisierten Verkehr befreit und konnte seine Qualitäten zeigen.

BAU:KULT:ID des BDA Gelsenkirchen thematisiert die emotionalen Werte von Orten und Gebäuden: Was lieben die Menschen an ihrer Stadt, den Gebäuden und Freiräumen? Was wird genutzt, was wird vermisst? Bürger:innen in Gelsenkirchen, Gladbeck und Bottrop sind eingeladen, Geschichten zu ihren Orten zu erzählen, ihr Potenzial sichtbar zu machen und Fotos davon auf der Homepage www.bau-kult-id.de hochzuladen.

Symposium in Köln | © Nadine Preiß

Das ganztägige Symposium „Zukunft findet Stadt“ in Köln schließlich weitet die Perspektive auf das System Stadt. Denn Stadt ist immer auch eine Geschichte von Umbrüchen, Untergängen, vom Weiterbauen und Neubewertungen. Tandems von Vertreter:innen aus Theorie und Praxis formulierten in ihren Zwiegesprächen Impulse für eine zukunftsfähige Stadtgestaltung. Diese plädieren dafür, gesellschaftliche Herausforderungen als Chance zu begreifen, neue partizipatorische Legitimationsmodelle zu entwickeln, die zu einer gerechten Ressourcenverteilung und zu einer weiterhin lebenswerten Stadt führen könnten.

Preise gewinnen

Poesie des Bestehenden, Lacaton & Vassal | © Nadine Preiß

„Do more with less,“ das ist der Ansatz von Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal. Ihr Vorschlag zur Neugestaltung der Place Léon Aucoc in Bordeaux im Jahr 1996 lautete sogar: Nichts tun. So lassen. „Poesie des Bestehenden“ hieß der Titel ihres Vortrags, den sie anlässlich der Verleihung des Großen BDA Preises 2020 in Köln hielten. Philip Ursprung resümiert in seiner Laudatio: „Architektur muss sich nicht dem Druck anpassen, sondern kann diesen produktiv umwerten und daraus eine neue Form und Ästhetik entwickeln. Lacaton & Vassal haben der Architektur der Nachhaltigkeit ein Gesicht gegeben und ihre eigene Schönheit.“ Und das ist für die 21,7 Millionen Bestandsgebäude immerhin eine gute Perspektive.

Text: Ira Scheibe