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BDA Gespräch: THINK TWICE – Zwischen Vision und Machbarkeit

21. Oktober 2022

@ büroluigs
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BDA Gespräch am 18. Oktober in Düsseldorf | © büroluigs

BDA Gespräch zum Auftakt der Architekturwochen NRW 22

Wir stehen nicht mehr ganz am Anfang der Debatte, denn Codes und Buzzwords funktionieren. RRR, seit der Architekturbiennale 2012 weiß man, das steht für Reduce/Reuse/Recycle. Auf Deutsch reden wir jetzt über die drei U: Umdenken, Umnutzen, Umbauen. Das ist der Untertitel, den der BDA NRW dem Programm der ARCHITEKTURWOCHEN NRW 2022 gegeben hat. Der Titel selbst, nur eine Zahl: 21,7. Die Erläuterung findet sich im Kleingedruckten: *Millionen Bestandsgebäude in Deutschland. Also etwa ein Haus für vier Leute, das sollte doch reichen, wenn wir richtig damit umgehen. Zum BDA Gespräch des Eröffnungsabends im Düsseldorfer Stahlwerk, dessen industrielle Nutzung längst Geschichte ist, waren Anne Fabritius (baubüro in situ Basel/Zürich) und Muck Petzet (Accademia die architettura USI, Mendrisio/Muck Petzet Architekten München Berlin) eingeladen. Sie als Vertreterin einer Generation, die alternative und konstruktive Wege aus der akuten Dringlichkeit sucht. Er, weil er seit dem Weckruf aus Venedig intensiv an der Übertragung der Theorie in die Praxis gearbeitet hat und sich als Architekt vor allem grade selbst bekehrt.

volles Haus im Stahlwerk Düsseldorf | © büroluigs

Anne Fabritius führte das Publikum durch den Entwurfs- und Bauprozess des beispielhaften und ausgezeichneten K.118 in Winterthur. Die Aufstockung einer dreigeschossigen Industriehalle mit drei weiteren Geschossen folgte dem Prinzip Form Follows Avaiability, gegeben war nur die Mantellinie. Die Planung war hochgradig flexibel, es wurden Optionen entworfen, schließlich die umgesetzt, für die gebrauchtes Material in der Nähe zur Verfügung stand. Die Bauteiljäger*innen des Büros suchten Material auf Abrissbaustellen, hier u.a. Strahltragwerk, Granitplatten und Aluminiumfenster, die im Bestand zwischengelagert werden konnten. Dem fertigen Bau sieht man an, dass es Gründe gibt für Gestalt und Ästhetik, man komme zu pragmatischen Lösungen, so Fabritius, da bestimmt das gefundene Tragwerk die Kubatur, die Fluchttreppe die Geschosshöhe. In ihrem Buch Bauteile wiederverwenden stellt in situ sein Wissen als open source allen zur Verfügung, ein wichtiger Schritt, denn nur durch die vermehrte Praxis werden die Re-use Prozesse zunehmend effizienter. Alles ist schon da, das war der Anfang, Anne Fabritius schloss mit alles ist schön da.

Anne Fabritius vom baubüro in situ | © büroluigs

Muck Petzet, der sich selbst als Propagandist für mehr Umbaukultur bezeichnet, entschuldigte sich, sein Vortrag sei theorielastig, doch müssten die Architek*innen die Prinzipien verstehen, in Zukunft mehr rechnen, um weiter mitreden zu können. Jedes Material solle man ernst nehmen, Respekt vor dem Vorhandenen haben, aber vor allem aufhören, Umbau als unsexy zu betrachten. Die größte Nachhaltigkeit sei vor allem durch den kleinstmöglichen Eingriff zu erreichen. Doch wer nun befürchtet, bald nichts mehr zu tun zu haben, den verwies Petzet auf die besondere Fähigkeit der Architekt*innen als Generalist*innen Potenziale zu erkennen und zu vermitteln. Vitruvs Anforderungen an die Architektur (Festigkeit, Nützlichkeit, Schönheit) fügt er dafür noch die Effektivität hinzu. Um die zu einem maßgeblichen Faktor zu machen, entwickelte er BBB, eine mehrstufige Bewertungsmatrix zur Beurteilung bestehender Bauten, die Auswirkungen auf Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt betrachtet, Anwendungsbeispiele folgten. Das Schöne an Veranstaltungen dieser Art ist es, dass dabei (sogar, wenn es um das Bestehende geht) immer weit nach vorne geschaut wird, dass, wer hadert, seine Rolle oder sein Vokabular neu erfinden kann: ab jetzt gibt es RRRchitektur, BBB und UUU!

Text Uta Winterhager